Bei Veränderungen gilt die Faustregel: Je bewusster und überlegter eine Veränderung gestaltet und eingeführt wird, desto reibungsloser und erfolgreicher das Ergebnis. Erfolgreich bedeutet, dass die von der Veränderung betroffenen Personen den Zustand nach der Veränderung als eine Bereicherung erleben. Die Erfahrung zeigt, dass diese Faustregel für fast jede Veränderung gilt.
Allerdings wird diese einfache Regel in der Praxis oft nicht beachtet. Meistens werden das Ausmaß und die Konsequenzen der Veränderung unterschätzt. Letztendlich ist die gut durchdachte Gestaltung der Veränderung der Schlüssel zum Erfolg. Dabei sind klare Entscheidungen und eine Mischung aus Weitsicht, Planungslogik, Erfahrungswerten, Intuition und eine Menge Flexibilität entscheidend. Querabhängigkeiten und nicht vorhersehbares menschliches Verhalten und Befindlichkeiten benötigen flexibles Reagieren. Der Verantwortliche muss sich persönlich in die Gestaltung und Umsetzung der Veränderung hineinbegeben und laufend nachspüren, welche Interventionen wann förderlich sind.
Veränderung im Unternehmenskontext
Jeder Veränderung stehen eine Menge potenzieller Barrieren entgegen. Das ist eher die Norm als die Ausnahme. Typische Barrieren sind zum Beispiel:
- Eine klare Entscheidung im Top Management für die Veränderung fehlt; somit fehlen auch ein expliziter Auftrag, ein Verantwortlicher und ein Sponsor.
- Es gibt eine klare Entscheidung im Top Management, allerdings fehlen explizite Ziele, Meilensteine und Regeln etc. Somit gibt es keine klare Projektstruktur für die Kommunikation, Begleitung und Überwachung der Veränderung.
- Ein Verantwortlicher ist benannt, aber nicht mit ausreichenden Entscheidungs- und Handlungskompetenzen ausgestattet worden. Somit fehlt dem Verantwortlichen das Wesentliche für die Ausführung des Auftrags.
- Ein Projektteam wurde nicht benannt bzw. nicht mit ausreichenden Fähigkeiten ausgestattet.
- Das mittlere Management ist in die Entscheidungsfindung nicht ausreichend involviert und wird nicht ernst genommen. Somit fehlt die flankierende Unterstützung dieser wichtigen Ebene bei der Beseitigung von nachrangigen Barrieren.
- Die von der Veränderung unmittelbar betroffenen Personen sind bei der Entscheidungsfindung nicht ausreichend involviert und fühlen sich nicht angehört. Somit sind zusätzliche Umsetzungsbarrieren wie Demotivation, Mangel an Kooperation und eine fehlende Feedbackschleife vorprogrammiert.
Paradebeispiel einer Veränderung
Die Einführung neuer Software zeigt oft in beeindruckender Weise typische Umsetzungsbarrieren. Für die Auswahl der Software wird häufig viel Zeit eingeplant. Umfassende Pflichtenhefte werden von Spezialisten ausgearbeitet. Die Einführungsphase und die Benutzer-Interaktion werden eher nicht ausreichend geplant. Die Spezialisten, die in der Auswahlphase hervorragende Arbeit geleistet haben, sind bei der Einführung fehl am Platz. Fehlt ein erfahrener Projektleiter, der dies antizipiert und hierfür nicht anders spezialisierte Personen organisiert, so sind Probleme vorprogrammiert. Empathie, gutes Zuhören, soziale Kompetenz und Fingerspitzengefühl sind gefragt.
Eine solche Fehlplanung kann dazu beitragen, dass zunächst motivierte Benutzer ohne entsprechende Zuwendung nach verzweifelten Eigenversuchen aufgeben und die Software für nicht tauglich erklären. Die Beschwerden der Benutzer werden vom Projektteam als Einführungsblockade missinterpretiert und als Misserfolg des Vorhabens verbucht, der zur Sündenbocksuche überleitet. Nichts ist demotivierender für Mitarbeiter im Unternehmen als Teil eines Misserfolgs zu sein. Daher sollte die Umsetzung von Veränderungen von vorneherein keine Option für Misserfolg beinhalten.
Umgang mit Veränderungen
Jede Veränderung ist es Wert, einen Projektstatus zu erhalten. Zunächst sollte jede noch so kleine Veränderung ernst genommen werden. Wie viel Aufwand tatsächlich in die Einführung investiert werden sollte, ist eine spätere Frage – natürlich braucht nicht jede Veränderung den gleichen Aufwand.
Diese einfache Disziplin macht die Umsetzung einer Veränderung handhabbar, planbar und strukturierbar. Jede noch so kleine Veränderung braucht mindestens einen verantwortlichen Projektleiter, der diese von A bis Z gestaltet, führt und umsetzt. Punkt A ist der Kickoff des Projekts und Punkt Z bedeutet die zufriedenstellende bis hervorragende Umsetzung. Sollte man diesen Aufwand als übertrieben empfinden, so stellt sich die Frage, ob die Veränderung notwendig ist. Veränderungsprojekte bieten gute Gelegenheiten, zukünftige Riegen von Führungskräften im Unternehmen zu qualifizieren. Unerfahrene erhalten kleinere Projekte in einem kontrollierten Mentoring-Kontext. Je mehr Mitarbeiter im Unternehmen in der Lage sind, sich selbst und andere zu führen, desto mehr Produktivität und Erfolg im Unternehmen sind prinzipiell möglich.
Fallstudie „Smart arbeiten”
Ein mittelständiges Unternehmen mit 150 Mitarbeitern und einem Team von 10 mobil arbeitenden Vertriebsmitarbeitern möchte anstelle von Outlook auf mobiles CRM, anstelle von Telefonanlage auf Telefonie mit Voip mit Softphone per Headset, anstelle von Telefonkonferenzen auf Lync und Videokonferenzen umstellen und Präsenzmanagement einführen.
Jede Veränderung ist einzigartig und im Detail kontextabhängig. Nehmen wir das o.g. Beispiel der Einführung smarter Kommunikationstechnologien. Wie kann man ein solches Projekt erfolgreich gestalten?
- mit minimalem Aufwand
- ohne zu viele Korrekturschleifen
- und im Sinne der Benutzer
Der Aufwand dieser Veränderung könnte durchaus unterschätzt werden. In den Details allerdings wird man erkennen, dass ein solches Projekt viele unterschiedliche Facetten haben wird:
Es wird z.B. wichtig sein, den Erfahrungsgrad der zukünftigen Benutzer zu berücksichtigen und zu kategorisieren. Anfänger werden kaum wissen, was VoiP, Headsets und Videokonferenzen bedeuten. Andere wiederum werden die Technik im Prinzip kennen, aber nicht wissen, dass VoiP z.B. eine mitunter schwierige Gesprächsqualität (Verzögerungszeiten) mit sich bringen wird. Wieder andere, fortgeschrittenere Benutzer werden ein gutes Grund- und Erfahrungswissen mit smarten Technologien besitzen, aber nicht wissen, dass die Arbeitszeiterfassung durch Präsenzmanagement möglicherweise verändert wird.
Präsenzmanagement könnte auch als eine Art Überwachung verstanden werden, die potenziell mit Bevormundung, Kontrolle und Mangel an Vertrauen in Verbindung gebracht werden könnte. Das kann eine unausgesprochene Barriere darstellen, besonders wenn die Motivation des Top Managements prinzipiell im Unternehmen infrage gestellt wird. Ein Meeting mittels Telekommunikation verlangt andere Benimmregeln vom Moderator und den Mitgliedern des Meetings als Präsenzmeetings. Natürlich wird sich durch dieses Projekt insgesamt die Kommunikationskultur ändern. „Chats“, „Short Messaging“ und „Document Sharing“ werden zum Alltag gehören. Man könnte sogar ein solches spezifisches Veränderungsprojekt bewusst dafür nutzen, die Unternehmenskultur zu optimieren.
Veränderungsumsetzung in vier Schritten
1. Bewusst und überlegt einführen
Die Geschäftsführung benennt ein Mitglied des Top Managementteams als Sponsor. Er soll den Veränderungswunsch der Geschäftsführung durchdenken, und zwar anhand einer strukturierten Entscheidungsvorlage. Damit wird die spätere Diskussion und Entscheidungsfindung knapp und präzise vorbereitet. Quereinflüsse und emotionale Aspekte werden bei der Diskussion sichtbar und optimieren die Planung.
Entscheidungsvorlage
a. Der Arbeitstitel
b. Der Kontext bzw. die Situation, die zum Besseren verändert werden soll
c. Probleme, die es zu lösen gilt
d. Die vermuteten Ursachen der o.g. Probleme
e. Denkbare Lösungen im Minimum, Ideal und Kompromiss inklusive Für und Wider
f. Empfohlene Lösung samt Begründung und Anhang
2. Auftrag konkretisieren und Verantwortliche nennen
Die verabschiedete Entscheidungsvorlage wird zum Projektauftrag. Annahmen, Ziele, Meilensteine und Dauer werden zusätzlich definiert. Das geeignetste Mitglied der Geschäftsführung übernimmt das Sponsoring und bildet die Schnittstelle zwischen dem Projektleiter und dem Top Management. Es ist ein wichtiges Signal für das Unternehmen, dass das Projekt als ausreichend wichtig und wertvoll angesehen wird. Der designierte Projektleiter wird öffentlich genannt. Im o.g. Beispiel kann man erfahrungsgemäß von einem Zeitraum von ca. sechs Monaten für die Einführung und von weiteren ca. drei Monaten für ausschleichende Begleitung der Benutzer ausgegangen werden. Der Projektleiter ist angehalten, der Geschäftsführung an bestimmten Meilensteinen Bericht zu erstatten. Der Sponsor bleibt durchgehend vom Projektanfang bis zum Projektende Ansprech- und Sparringspartner.
3. Benutzerteams bilden, einschwören und einbinden
In der o.g. Fallstudie gilt es, sechs Teams im Auge zu behalten und zu involvieren: das Top Management, das mittlere Management, das Umsetzungsteam sowie die zukünftigen Benutzer: der Außendienst, der Innendienst und die restlichen Mitarbeiter. Der Projektleiter und der Sponsor bilden die erste wichtige Kommunikationsschnittstelle zum Top Management und zum mittleren Management.
Designierte Mitglieder des Umsetzungsteams bilden drei weitere Kommunikationsschnittstellen zu den zukünftigen Benutzergruppen. Die Aufteilung in drei Teams ist sinnvoll, da sich die Wünsche und Bedürfnisse der drei Benutzergruppen unterscheiden werden. In einem allgemeinen Informationsworkshop wird das Unternehmen in das Vorhaben eingeführt. In drei weiteren separaten Workshops mit den Benutzergruppen werden Wünsche, Bedürfnisse, potenzielle Ängste und Vorerfahrungen erhoben und behandelt. Die Erfahrung zeigt, dass redundantes und übertriebenes Informieren besser ist als zu wenig Information. Spezialisten im Umsetzungsteam behandeln im Detail die Eigenheiten der einzuführenden Software-Module und spezifizieren den bestmöglichen Fahrplan für die Umstellung von alter auf neue Technologie. Andere Mitglieder des Umsetzungsteams antizipieren die Stolpersteine der Benutzer und beugen mit einem empathisch durchdachten Einführungs- und Trainingskonzept vor.
4. Gutes Projektmanagement und weise Führung
Letztendlich ist gutes Projektmanagement und weise Führung gefragt. Dieser Part ist eine Standardvoraussetzung und sollte im Unternehmen unabhängig von einem speziellen Vorhaben etabliert sein. Daher wird hier auf eine Ausführung verzichtet. Der Sponsor spielt hier eine besondere und wichtige Rolle, da der Projektleiter mit ihm stets einen hilfreichen und verständnisvollen Partner zur Seite haben sollte. Die Aufsicht des Projektes liegt in der Hand eines Kernteams, bestehend aus dem Projektleiter, dem Sponsor und dem Vorsitzenden der Geschäftsführung. Das Top Management und das mittlere Management flankieren das Kernteam und bieten zusätzliche Hilfestellung und Unterstützung an.
Schlusswort
So kann die Veränderung bewusst und überlegt eingeführt und mit hoher Wahrscheinlichkeit ein reibungsloses und erfolgreiches Ergebnis erwartet werden. Das Projekt wird natürlicherweise im Verlauf ein paar Talfahrten erleben. Das liegt in der Natur von Veränderungsumsetzung und soll nicht abschreckend wirken. Talfahrten bedeuten sogar im Positiven, dass sich etwas bewegt. Es gilt, sorgfältig, empathisch und unaufgeregt die sich neu formierende Norm willkommen zu heißen und zu stabilisieren.
Die o.g. Vorgehensweise kann als grobe Checkliste für alle Arten von Veränderungsvorhaben verwendet werden. Darüber hinaus ist der gesunde Menschenverstand der beste Ratgeber für die erfolgreiche Gestaltung und Einführung einer Veränderung. Veränderungen und die Notwendigkeit, diese gut umzusetzen, sind vom Alltag in Unternehmen nicht wegzudenken; daher lohnt es sich, dafür einen fundierten Erfahrungsschatz aufzubauen und mutig und bewusst voranzuschreiten.
Dr. Zarmina Penner
Promovierte Ärztin, Business und Management Coach in Change Management und Business Transformation.
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