Aktuell leben wir einen Alltag, der vom Kampf gegen einen Virus geprägt ist, das täglich mehreren tausend Menschen weltweit das Leben kostet. Auch wenn es viele von uns nicht direkt zu betreffen scheint, schränken die aktuellen Bestimmungen unser tägliches Leben ein. Der Einfluss auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Politik ist derzeit kaum absehbar.

Trotzdem wagen wir einen Blick in die Zukunft und fragen gemeinsam mit dem Team von virtualQ und Zukunftsforschern wie Mathias Horx „Wie verändert sich die Bedeutung von Fortschritt, Wachstum und Sicherheit?“ Was erwartet uns, wenn wir die Krise überwunden haben? Wird alles wieder wie vorher oder erwartet uns eine neue, veränderte Gesellschaft?

Eine kleine Warnung: Die Antworten werden Ihnen möglicherweise nicht gefallen… 
Denn – falls Sie es nicht schon längst getan haben – es ist Zeit, die rosarote Brille abzunehmen. Pandemie, Lockdown, Social Distancing: Das ist weitaus mehr als eine Grippewelle, wie es immer noch von manchen Menschen behauptet wird – das bedeutet für viele Bereiche des Arbeitens und Lebens komplettes Umdenken bis hin zu einem völligen Neustart.

Den Artikel in voller Länge finden Sie auf der Website von virtualQ.

Grundsätzlich wird die aktuelle Situation vermutlich in eines von drei denkbaren Szenarien münden: Eins, das sehr unwahrscheinlich ist, eins, das sehr gefährlich ist und eins, das sehr lang, aber auch das wahrscheinlichste ist.

(1) Das erste ist, dass es jeder Nation gelingt, das Virus gleichzeitig in den Hintergrund zu rücken, wie beim ursprünglichen SARS im Jahr 2003. Angesichts der Verbreitung der Coronavirus-Pandemie und der schlechten Lage vieler Länder scheinen die Chancen einer weltweiten synchronen Kontrolle verschwindend gering zu sein.

(2) Das zweite ist, dass das Virus das tut, was Grippepandemien in der Vergangenheit bereits getan haben: Es brennt durch die Welt und hinterlässt genügend Immunüberlebende, so dass es schließlich Schwierigkeiten hat, lebensfähige Wirte zu finden. Dieses Szenario der „Herdenimmunität“ wäre schnell und daher verlockend. Aber es würde auch einen schrecklichen Preis kosten: SARS-CoV-2 ist übertragbarer und tödlicher als die Grippe und würde wahrscheinlich viele Millionen Tote und eine Spur zerstörter Gesundheitssysteme hinterlassen. Großbritannien beispielsweise schien diese Strategie der Herdenimmunität zunächst in Betracht zu ziehen, bis Gedankenmodelle die schlimmen Konsequenzen offenlegten.

(3) Das dritte, wahrscheinlichste Szenario ist, dass die Welt ein langwieriges Spiel mit dem Virus spielt und hier und da Ausbrüche ausrottet, bis ein Impfstoff hergestellt werden kann. Dies ist die beste Option, aber auch die längste, komplizierteste und jene, die am meisten Disziplin von allen verlangt.

Zunächst hängt alles von der Herstellung eines Impfstoffs ab. Wenn dies eine “übliche” Grippepandemie wäre, wäre das einfacher. Die Wissenschaft hat Erfahrung in der Herstellung von Grippeimpfstoffen, es gibt jedoch noch keine Impfstoffe gegen Coronaviren, da diese Viren bisher eher milde oder seltene Krankheiten verursachten. Daher müssen die Forscher hier beinahe bei Null anfangen. Diese Erkenntnis ist wichtig, denn sie erklärt, warum Zukunftszenarien aussehen, wie sie aussehen.

Ein langwieriger Prozess

Warum dauert das so lang? In ersten Studien bei der Entwicklung von Impfstoffen wird den Forschern lediglich mitgeteilt, ob der Impfstoff sicher erscheint und ob er das Immunsystem tatsächlich mobilisieren kann. Die Forscher müssen dann in langwierigen Testreihen überprüfen, ob es tatsächlich eine Infektion verhindert. (…)

Es ist daher wahrscheinlich, dass das Coronavirus mindestens ein Jahr, wenn nicht sogar noch viel länger, ein fester Bestandteil unseres Lebens sein wird. Wenn die derzeitige Strategie des “Social Distancings” funktioniert, kann die Pandemie so weit nachlassen, dass wir wieder zu einer Art Normalität zurückkehren. (…) „Wir müssen jedoch darauf vorbereitet sein, mehrere Perioden sozialer Distanzierung durchzuführen“, stellen beispielsweise Wissenschaftler der Harvard Universität fest.

Irgendwann dann wird es Herdenimmunität oder die lang erwartete Ankunft eines Impfstoffs sein, die uns aufatmen lassen.

Die Folgen

Die Kosten, man kann fast von “Opfern” sprechen, für das Erreichen dieses Punktes mit möglichst wenigen Todesfällen werden enorm sein. Die Weltwirtschaft erlebt aktuell einen Schock, plötzlicher und schwerer als jeder Lebende jemals erlebt hat. Massive Arbeitslosigkeit, leere Hotels, gegroundete Fluggesellschaften. Restaurants und andere kleine Unternehmen schließen. Und: Die Ungleichheiten werden zunehmen. (…) Krankheiten haben Städte und Gesellschaften schon oft destabilisiert, aber seit langer Zeit nicht mehr oder nicht mehr in dem Ausmaß, wie wir es jetzt sehen.

Nach dem Abklingen der Infektionen wird es unter anderem zu einer sekundären Pandemie psychischer Probleme kommen. Denn: In einem Moment tiefster Angst und Unsicherheit wurden die Menschen von beruhigenden menschlichen Kontakten abgeschnitten. (…)

Aussichten: Trotzdem heiter bis sonnig?

Es könnte aber auch Potenzial für eine viel bessere Welt geben, nachdem das Trauma überwunden ist. Die Einstellung zur eigenen Gesundheit kann sich zum Besseren ändern. Erfahrungen mit früheren Epidemien zeigten: Der Anstieg von HIV und AIDS veränderte das sexuelle Verhalten junger Menschen (…) vollständig. Der Gebrauch von Kondomen hat sich normalisiert. Das Testen auf sexuell übertragbare Krankheiten wurde zum Mainstream. Ebenso kann das Waschen der Hände für 20 Sekunden, eine Gewohnheit, die selbst in Krankenhäusern historisch schwer zu verankern war, eine dieser Verhaltensweisen sein, an die wir uns im Verlauf dieses Ausbruchs so gewöhnt haben, dass wir es nun immer selbstverständlich tun, ohne weiter drüber nachzudenken.

Eine logische Folge sollte also sein, dass viele solcher Veränderungen ab sofort in unserem Leben verankert werden. Und viele werden es auch, denn schon oft brauchte es nur dieses Initial, den Anstoß, eine Investition, um eine Entwicklung in Gang zu bringen.(…) Denn: Selbst hartnäckige Verweigerer nutzen nun doch Whatsapp – und dies ist stellvertretend ein gutes Beispiel für viele Themen der Digitalisierung. (…) Videochats finden statt, Hardware wird beschafft, Netzabdeckung vorangetrieben. Schulen merken plötzlich, dass jahrelange Internet-Verweigerung sich nun rächt – die Schüler machen derweil ihr eigenes Ding. (…)  All dies – Homeoffice, Remote-Meetings, Telemedizin – holpert allerdings mächtig, denn man versucht, es mal eben aus dem Boden zu stampfen. Längst vorhandene Technologie trifft auf mangelndes Know-how, fehlendes Change-Management und bedingte Bereitschaft. Nun ist das mit all dem Frust und den Fehlversuchen und Schmerzen, die es nun mit sich bringt, nicht die Art Fortschritt, die wir uns gewünscht hatten, aber endlich ist es eine!

Trifft das auch auf soziale bzw. gesellschaftliche Veränderungen zu? Matthias Horx zeichnet eine schöne Welt, wie sie z. B. im Herbst aussehen könnte: Wir würden überrascht sein, stellt Horx in Aussicht, dass unsere soziale Distanzierung selten zu einem Gefühl der Isolation führte. Im Gegenteil, nach einem anfänglichen lähmenden Schock seien viele von uns vielleicht sogar erleichtert, dass das ständige Rennen, Reden und Kommunizieren auf einer Vielzahl von Kanälen plötzlich zum Stillstand kam. Paradoxerweise hat die physische Distanz, die das Virus uns aufgezwungen hat, auch neue Nähe geschaffen. Wir haben Leute getroffen, die wir sonst nie getroffen hätten. Die soziale Höflichkeit, die wir bisher zunehmend vermisst haben, hat in Horx’ Vision zugenommen.

Dann, im Herbst 2020, herrscht vielleicht bei Fußballspielen eine ganz andere Stimmung als im Frühjahr, als es viel Massenwut gab. Wir fragen uns, warum das so ist.

Menschen, die aufgrund des hektischen Ansturms nie zur Ruhe kamen, einschließlich junger Menschen, machten plötzlich lange Spaziergänge. Das Lesen von Büchern wird plötzlich zum Kult. (…)

Menschen, Unternehmen und Institutionen haben bemerkenswert schnell Praktiken übernommen oder gefordert, die sie vorher eher stiefmütterlich oder gar nicht umsetzen wollten. Darunter die Arbeit von zu Hause aus, Telefonkonferenzen, um beispielsweise Menschen mit Behinderungen stärker einzubeziehen, angemessener Umgang mit Krankenstand und flexible Kinderbetreuungsregelungen. Vielleicht werden Unternehmen lernen, dass es bei der Vorbereitung auf derartige Epidemien nicht nur um Masken, Impfstoffe und Tests geht, sondern auch um eine faire Arbeitspolitik und ein stabiles und gleichberechtigtes Gesundheitssystem. (…)

Vielleicht. Denn gleichzeitig steht die These im Raum, dass Applaus für Supermarktkassiererinnen und Finanzspritzen für Pflegepersonal emotional getriggert und (…) demnach temporäre Aufmerksamkeiten gewesen sein könnten.(…) Das soziale Gewissen näht jetzt Mundschutze an der heimischen Nähmaschine und geht für ältere Leute einkaufen. Und dies wiederum wird eben irgendwann wieder abgelöst von neuen Katastrophen mit neuen sozialen Aktivitäten. Zudem neigt der Mensch einfach zu sehr dazu, in alte Gewohnheiten zurückzufallen. (…)

COVID-19 ist jedoch nicht irgendeine Krise

Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass COVID-19 trotzdem eine Katastrophe sein könnte, die zu radikaleren und nachhaltigeren Veränderungen führt (…). Die anderen großen Epidemien der letzten Jahrzehnte betrafen entweder nicht jedes Land gleich stark (SARS, MERS, Ebola), waren milder als erwartet (H1N1-Grippe 2009) oder waren größtenteils auf bestimmte Personengruppen (Zika, HIV) beschränkt. Im Gegensatz dazu betrifft die COVID-19-Pandemie alle Menschen weltweit direkt und verändert die Natur ihres Alltags. Das unterscheidet es nicht nur von anderen Krankheiten, sondern auch von den anderen systemischen Herausforderungen unserer Zeit. (…)

Was bleibt!

Neben der eigentlichen Bekämpfung der Krankheit, war es wohl die soziale Distanzierung, die bisher die größten Herausforderungen mit sich brachte. Für einen Teil der Wirtschaft, aber auch für unsere Schulen hätte es jedoch nicht so schlimm kommen müssen, wie es aktuell der Fall ist. Spätestens, als offensichtlich wurde, dass nicht alle Unternehmen per Knopfdruck ins “Homeoffice” gehen konnten, obwohl sie es rein sachlich, also von der Art ihrer Arbeit her gekonnt hätten, war klar, in welchem Zustand sich die Digitalisierung in Deutschland im Jahr 2020 befindet. Schnell ging es nicht mehr um den alleinigen Komfort digitaler Behördenangelegenheiten oder kontaktlosen Zahlens. Von heute auf morgen wurde es existenziell. (…)

Wirklich skandalös im Jahr 2020 ist jedoch das Zusammenbrechen der Hotlines von Arbeitsamt und Investitionsbanken, die telefonische Nicht-Erreichbarkeit von Gesundheitsdiensten und die fehlende Automatisierung von Antworten auf tausendfach wiederholt gestellte Fragen. Schulen schließen ohne ein adäquates Online-Angebot der Lehre, Ärzte müssen auf eine sehr begrenzte Liste zugelassener Telemedizin-Tools zurückgreifen. Digitalisierung sieht anders aus, und diese wird demnach am ehesten zu den Gewinnern der “Post-Corona-Phase” gehören. 

(…)

Die neue Wirtschaft

Nach dem BCG Center for Macroeconomics analysis kann sich eine Wirtschaft – abzulesen im Bruttoinlandsprodukt (BIP) – nach einem Shock unterschiedlich verhalten, nämlich in einer V-, U- oder L-Kurve:

Wir, als stabile, prosperierende und fortschrittliche Wirtschaftsmacht dürften am wahrscheinlichsten mit “U” rechnen. Wir werden uns also mehr oder weniger zügig erholen und dann von einem etwas tiefer gelegenen Level aus mit dem gleichen Tempo wie bisher weiter wachsen. Statt unsere Technologien dann aber für alten Wein in neuen Schläuchen zu verschleudern, lohnt es sich noch einmal Horx zu bemühen: Auch in seiner Vision gibt es  wieder eine Weltwirtschaft. ABER: Die weltweite Just-in-Time-Produktion mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, in denen Millionen von Einzelteilen über den Planeten transportiert werden, funktioniert nicht mehr. Es wird vermutlich neu konfiguriert werden müssen. Zwischenlager, Depots und Reserven werden überall in Produktions- und Serviceeinrichtungen wieder wachsen. Die lokale Produktion kommt zurück, Netzwerke werden lokalisiert und das Handwerk erlebt eine Renaissance. Das globale System driftet in Richtung GLOCALisation: die Lokalisierung des Globalen – so Horx.

Es gilt nun also, auch die Digitalisierung zu überarbeiten, neue Szenarien einzubeziehen und vergessene Ansprüche zu reaktivieren.  

Aber jetzt bitte. Jetzt und nicht irgendwann vielleicht, denn in einem sind sich alle einig: Das war nicht die letzte Krise.  

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