Über Augmented Reality (kurz AR) wird seit Jahren gesprochen und sie ist, bewusst oder unbewusst, schon im Alltag angekommen. Zum Beispiel die Abseitslinie in der Fußballübertragung ist die Augmentation einer Information über dem realen Bild.

Aber spätestens seit Pokémon Go sind Spiele als bekannteste AR-Anwendung in der breiten Öffentlichkeit angekommen.

Während dieses zugegeben kurzweilige Spiel nur eine virtuelle Ebene über das Kamerabild legt, kann Augmented Reality nun viel mehr: Grund dafür sind die von Apple & Google neu veröffentlichte Betriebssysteme iOS II und Android 7.0. Sie bringen für die neuen und leistungsstarken Geräte eine Funktionalität mit, mit der Apps ein einfaches Modell der echten Umgebung erhalten sowie die Positionsdaten der Gerätes im Raum mittels eingebauter Sensoren.

Sofort haben sich Entwickler weltweit dieser neuen Möglichkeit angenommen und zum Beispiel eine App für IKEA gebaut, mit der man ausprobieren kann, wie ein Möbelstück in richtiger Größe, Perspektive und Position, Perspektive und Position im eigenen Zimmer aussieht. Bisher war dies nur mit einem ausgedruckten Marker (ähnlich einem QR-Code möglich, um im echten Raum eine Referenz der Größe und Perspektive zu haben. Die Akzeptanz war entsprechend schlecht, da die Wenigsten mobil einen Drucker haben, um den Marker auszudrucken. Außerdem reichte für die Erkennung die Kameraauflösung nicht aus, um sich so weit vom Marker wegbewegen zu können, dass man genug vom Raum sieht.

Dies hat sich nun geändert, da in den ersten Versionen dieser neuen Technologie zumindest horizontale Flächen, also z.B. der Boden oder der Tisch erfasst werden können. AR-Kit von Apple und ARCore von Google errechnen für das Motiontracking mit der Kamera Bezugspunkte (Featurepunkte) und nutzen die Bewegungssensoren, um die Position der Gerätes im Raum zu erkennen. Man kann sich also frei im Raum bewegen und so auch um ein 3D-Objekt herumgehen, das virtuell an seiner Position verharrt.

Bei Pokémon Go oder auch AR-Apps, wie Wikitude, spielt die Erkennung einer Fläche, eines Markers o.ä. keine Rolle. Hier wird nur abhängig von der eigenen Position mittels GPS und Richtung mittels Kompass-Sensor sowie Neigungssensor eine Information über das Kamerabild gelegt. Das reicht aus, um einfach darzustellen, in welcher Richtung sich ein Punkt wie eine Sehenswürdigkeit befindet. Das Live-Kamerabild wird hier wie ein Fenster genutzt und ist dabei fast nur Dekoration im Hintergrund der Anwendung. Es hilft aber dem Nutzer, die virtuellen Informationen in Bezug zur Realität räumlich zu verstehen.

Mit meinem Unternehmen „Interactive Pioneers“, eine 1997 geründete Digitalagentur, setzen wir bereits seit vielen Jahren Augmented Reality für Kunden ein. So z.B. in der CHIO Aachen Event App zur Navigation und Orientierung, für DEAR Photography um Kunst-Bilder vor dem Kauf virtuell an der eigenen Wand zu testen oder für die Deutsche Post AG, um die richtige Größe eines Pakets herauszufinden. Letzteren Anwendungsfall haben wir als Beispiel genommen, um die neue Technologie der Markerlosen AR für iOS zu testen: Man lädt sich die App „pARcel – Der AR Paketassistent“, sucht damit eine freie Fläche, ein Paket wird virtuell auf den Tisch ins Kamerabild projiziert und man kann prüfen, was in dieses Paket hineinpasst.

Die Idee dahinter ist einfach: Derzeit können Pakete zwar online vorfrankiert werden, der Kunde weiß jedoch nicht, welche Paketgröße passend ist. Besonders, wenn man nicht leicht zu vermessende oder mehrere Artikel versenden möchte, lässt sich die richtige Größe nur schwer ermitteln. Erst im Paketshop kann er den passenden Karton für sein Versandgut ausprobieren. Die richtige Paketklasse ist oft eine mathematische Rechnung aus Länge / Breite / Höhe + Gewicht, die für Nutzer fehleranfällig und nicht komfortabel ist.

Nun kann man dank Augmented Reality Technologie, sein Versandgut in das virtuelle Paket mit den korrekten Maßen legen und von allen Seite prüfen. Der Kunde kann so spielerisch / visuell die Abmessungen prüfen statt mathematisch vermessen. So ergibt sich die richtige Paketklasse, anhand der neben der korrekten Versandmarke auch der passende Karton verkauft werden kann.

Die Anwendung ist natürlich vor allem für Logistikunternehmen geeignet, als Funktionserweiterung der vorhandenen App an der passenden Stelle im Prozess. Der sinnvolle Einsatz von Augmented Reality kann ein großes Presseecho erzeugen. Die Marke wird durch die Zukunfts-Technologie innovativ / modern aufgeladen.

Unter http://parcel.interactive-pioneers.de findet man ein Video der Anwendung und den Downloadlink. Wir sind nun einen Schritt weitergegangen und versuchen zusätzlich die richtige Paketgröße automatisch zu finden bzw. anzuzeigen, wenn das Versandgut nicht ins Paket passt. Dafür erkennen wir nicht nur die Tischfläche, sondern auch alles, was sich innerhalb des virtuellen Pakets befindet. Wenn es Schnittpunkte mit dem Paket gibt, ist das Objekt größer als das Paket. Hierfür nutzen wir die erkannten sogenannten „Featurepunkte“, die uns iOS II zumindest bei Bewegung des iOS-Gerätes gibt.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, so kann man mit AR auch ein komplexes Produkt wie ein Fahrrad in 3D zeigen. Es kann auch ein Produkt sein, das es noch gar nicht gibt, vielleicht weil es in einem frühen Entwicklungsstadium ist oder erst auf Wunsch des Kunden so produziert wird. Auch für besonders große Produkte oder zum Entdecken von Details eignet sich der Einsatz. Nicht zuletzt kann so der Verkauf gesteigert und Retouren vermieden werden.

Noch besser ist AR, wenn ein Tiefensensor vorhanden ist, wie beim Google Pixel 2 und anderen neuen leistungsstarken Android-Telefonen. Mit Android 8.1 wurden hier AR-Sticker veröffentlicht. Hiermit kann man 3D-Figuren wie Starwars R2D2 live in sein Kamerabild setzen. Sogar die Beleuchtung wird an die reale Lichtumgebung so angepasst, dass man das virtuelle Objekt erst auf den zweiten Blick erkennt.

Wenn von Augmented Reality gesprochen wird, wird meist nur an diese visuelle Form gedacht. Diese Zusatzinformation kann aber alle menschlichen Sinnesmodalitäten ansprechen und so auch ein akustisches „augmentieren“ über die Reality meinen. Man kennt heute bereits Audioguides z.B. in Museen. Steht man vor einem Kunstobjekt, bekommt man in der gewünschten Sprache einen Sprechertext vorgelesen. Im Auto ist AR bei hochpreisigen Modellen längst Standard, wenn die Navigation und andere Informationen über das HeadUpDisplay (HUD) auf die Scheibe projiziert werden, also vor die echte Welt. Augmented Reality meint also ganz allgemein die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung.

Es ist eine neuartige Mensch-Technik-Interaktion, mit der digitale Zusatzinformationen mit der realen Umwelt verschmelzen.

Google Glass und die neuen Mixed Reality Headsets gehören ebenfalls in diese Kategorie. Anders als beim Smartphone, in dem man nur im kleinen Display augmentieren kann, entsteht mit Datenbrillen eine bessere Immersion. Microsoft hat hier viel investiert und eine Mixed Reality Funktion in Windows 10 eingebaut. Unter Mixed Reality versteht man die Vermischung von Realität und Virtuellem. Mehr noch als bei Augmented Reality, wo vor allem „übelagert“ wird, wird in der Mixed Reality, die Umgebung einbezogen. Man setzt also eine Brille auf, die, ähnlich einem HUD im Auto, auf einer durchsichtigen Fläche etwas Virtuelles projiziert. Die Brille erfasst dabei, mit projizierten Infrarotpunkten und einer entsprechenden Kamera, ein 3D-Modell des Raums und positioniert die virtuellen Objekte so, als würden sie im realen Raum stehen. Mehr noch, sie können den realen Raum mit anderen Texturen umgestalten. Bewegt man sich aber im Raum, läuft man nicht Gefahr, gegen einen Tisch zu laufen – auch wenn der Tisch in der Mixed Reality anders aussieht.

Im industriellen Umfeld sind solche Datenbrillen bereits im Einsatz um Arbeitern, die die Hände frei haben müssen, Informationen zuzuspielen. Zusammen mit Mixed Reality kann nun die echte Handlung unterstützt werden. Ein Paketsortierer kann so z.B. den richtigen Platz im Regal markiert bekommen. Auch als Lernunterstützung können solche Systeme eingesetzt werden, um Handlungen virtuell so zu trainieren als wären sie real. Die dafür nötigen Mixed Reality Headsets werden dafür immer kleiner, leistungsstärker und günstiger. Mit Spannung wird z.B. das Leap Motion AR-Headset erwartet, da sogar Gestensteuerung beinhalten soll.

Die nächste Steigerung davon ist natürlich Virtual Reality. Hier spielt die echte Realität im Gegensatz zu Mixed Reality und Augmented Reality keine Rolle. Man taucht unter einer VR-Brille (noch besser mit 3D-Kopfhörern) vollständig in eine virtuelle Realität ab. Zwar spielen hier auch die Position und Bewegung des Betrachters eine Rolle, die ideale Umgebung wird aber nicht einbezogen. Liegt nur eine kleine Verzögerung zwischen der realen Bewegung und der virtuell generierten vor, wird vielen Menschen schlecht. Die sog. „Motion Sickness“ kennen viele Menschen bereits von Schiffen als Seekrankheit, wo das Gleichgewichtsorgan im Ohr ebenfalls eine Desorientierung erfährt. Unter VR-Brillen wird bei schnellen Bewegungen aber auch manchen seefesten Matrosen schlecht. Bessere Brillen und Hardware werden diesen Effekt in Zukunft zumindest verringern. Dennoch gibt es auch sinnvolle Anwendungsgebiete für VR. Z.B. reagieren Alzheimerpatienten gut darauf, virtuell in die Zeit ihrer Jugend versetzt zu werden. Im eLearningbereich können mit VR komplexe Handlungen und Situationen trainiert werden, was das Militär bereits seit Jahren einsetzt.

Sicher ist, dass durch diesen Schritt in Richtung Augmented Reality von Apple und Google der Grundstein für viele weitere spannende Entwicklungen gelegt wurde. Wenn die Rechenpower der Geräte noch besser wird, Sensoren günstiger werden und neue Darstellungsmöglichkeiten wie Laserprojektoren oder Displays in Kontaktlinsen ausgereift und günstig sind, wird die virtuelle Augmentation von Informationen allgegenwärtig sein. Bereits heute ist die Technologie aber so weit, dass man spannende Anwendungsmöglichkeiten nutzen kann. Auf der CES 2018 war AR eines der Top-Themen. Weltweit sollen bis Ende 2048 800 Millionen Smartphones AR-tauglich sein und man erwartet einen Umsatz mit Anwendungen von über 100 Mio. Dollar. Wer Augmented Reality bereits einsetzt, kann damit Kunden begeistern.

 


Carlo Matic ist ein seit über 20 Jahren erfahrener Entrepreneur. Als einer der ersten Interaktiv-Entwickler in Deutschland gründete er 1997 im Aachener Drehturm den Interaktiv-Dienstleister „Interactive Pioneers GmbH“ und Startups wie das kostenlose Shopsystem SUPR.COM. Sein Wissen gibt er in diversen Büchern, zahlreichen Seminaren und internationalen Workshops sowie auf Konferenzen im In- und Ausland weiter.

www.interactive-pioneers.de

 

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